Abgelehnt wurde von der Kommission auch eine Volksinitiative zum Artenschutz, und zwar mit einer Begründung, die deutlich machte, dass letztlich kaum je eine Volksinitiative für zulässig erklärt werden kann. Auf einen Rekurs musste ebenfalls aus Kostengründen verzichtet werden. Als Problem für solche Entscheide erweist sich die Zusammensetzung der Kommission (lokale Richter) sowie die unzureichende Definition und Eingrenzung ihrer Aufgabe.
Erstmals in 25 Jahren und nach sieben erfolgreichen Unterschriftensammlungen sind im Sommer 2022 zwei Volksbegehren der Initiative für mehr Demokratie an der Unterschriftenhürde gescheitert. Die im Sommer 2022 denkbar schlechtesten Bedingungen zur Sammlung von Unterstützungsunterschriften haben deutlich werden lassen, mit welchen Schwierigkeiten direktdemokratische Initiativen konfrontiert sind: Wenn selbst eine Organisation mit langjähriger Erfahrung und hohem Bekanntheitsgrad wie die Initiative für mehr Demokratie die gesetzten Hürden nicht mehr bewältigen kann, wie schwer haben es dann kleinere bzw. unbekanntere BürgerInnengruppen?
Ausschlaggebend für das nicht Zustandekommen der Volksbegehren waren die Bedingungen für die Unterschriftensammlung:
- die unbegründet und völlig unverhältnismäßig hohe Zahl an erforderlichen Unterschriften: 8.000, also gleich viele, wie für das vom Autonomiestatut vorgesehene bestätigende Referendum, das ein verbindliches Instrument ist. Beim Volksbegehren handelt es sich hingegen nur um eine unverbindliche Massenpetition. Zum Vergleich: Das Regionalgesetz, auf Landesebene ausgeübt, sieht für diese 2.000 Unterschriften vor!die, ohne Gesetzesänderung und nach fünfzehnjähriger Praxis, plötzlich durch den
Landeshauptmann erfolgte drastische Einschränkung des Kreises der Beglaubigungsberechtigten;die Einschränkung, nur auf der eigenen Gemeinde unterschreiben zu dürfen (anders, als vom Landesgesetz 10/2002 für das bestätigende Referendum vorgesehen und anders als gesamtstaatlich geregelt)
die fehlende Möglichkeit der Online-Unterschriftensammlung, deren Notwendigkeit sich besonders während der Pandemie gezeigt hat.
Die Bedingungen für direktdemokratische Initiativen haben sich durch die in mehrfacher Hinsicht krisenhafte Situation merklich verändert. Dieser Entwicklung, die sich auch bei Wahlen zeigt, ist bei der Nutzbarmachung der direktdemokratischen Instrumente unbedingt Rechnung zu tragen.
Genau solche Behinderungen wie die oben aufgeführten haben die UNO-Menschen-rechtskommission dazu bewogen, mit ihrem Urteil über eine von italienischen StaatsbürgerInnen eingebrachte Klage den italienischen Staat dazu aufzufordern, diese zu beseitigen und damit die Ausübung der direktdemokratischen Mitbestimmungsrechte möglich zu machen.
Italien hat dieser Aufforderung zum Teil mit der Einführung der Online-Unterschriftensammlung auf nationaler Ebene entsprochen. Die in Südtirol herrschende Landtags-mehrheit hat auf die wiederholten Aufforderungen der Initiative für mehr Demokratie, diese Möglichkeit auch in Südtirol zu schaffen, nicht reagiert.
Alle diese Mängel lassen sich unter den beschriebenen Bedingungen weder durch Volksinitiativen noch durch Volksbegehren beheben. Sie können nur durch
eine Landtagsmehrheit jener Parteien beseitigt werden, die bisher die Bestrebungen für mehr Demokratie unterstützt haben.
IV. Mindestnotwendige Elemente zur Gewährleistung der Anwendbarkeit der direktdemokratischen Instrumente in Südtirol
Die Zivilgesellschaft hat das Landesgesetz 22/2018 zur Direkten Demokratie und Partizipation als entscheidenden Schritt zu einer Demokratie der Selbstbestimmung der BürgerInnen gefeiert. Weshalb nun hat sie sich getäuscht – oder ist sie getäuscht worden?
Die federführend verantwortlichen Landesgesetzgeber haben im Laufe des partizipativen Prozesses zur Erarbeitung des Gesetzentwurfes (2014-2016) mehrmals betont, dass die Regeln der Demokratie nicht zu den von Volksabstimmungen ausgeschlossenen Materien zählen. Dies entspricht voll und ganz den Aussagen von Marco Boato, dem Einbringer der diesbezüglichen Änderung der Verfassung und des Autonomiestatuts von 2001.
Die Regeln der Demokratie scheinen im LG 22/2018 tatsächlich nicht unter den ausgeschlossenen Materien auf. Wiederholt wurden Volksabstimmungen zu dieser Materie von den zuständigen Kommissionen für zulässig erklärt.
Die im LG 22/2018 vorgesehene und von der Landesregierung eingesetzte Kommission hat hingegen die 2020 vorgelegten Anträge auf beschließende Volksabstimmung und ebenso jene 2022 vorgelegten auf beratende Volksbefragung über die Regeln der Demokratie als unzulässig abgelehnt.
Renommierte Verfassungsrechtler sehen diese Entscheidung als nicht berechtigt. Das Landesgericht indes hat dem Rekurs gegen die Entscheidung der Kommission nicht Recht gegeben.
Folglich ist eine diesbezügliche Präzisierung im Landesgesetz nötig.