„Die Zerstörung aller Illusionen ist die Bedingung für jede wirkliche Veränderung.“

(Erich Fromm)

Für mich hat sich in den letzten Wochen endgültig eine schwache Hoffnung als Illusion erwiesen. Der zwanzigjährige Weg für eine gute Regelung der Direkten Demokratie ist zur Erfahrung geworden, dass eine Weiterentwicklung der Demokratie in diesem politischen System nicht möglich ist und wir grundsätzlicher ansetzen müssen!

Wir haben versucht, eine Vervollständigung der Demokratie mit den vom politischen System gebotenen Möglichkeiten und unter seinen Bedingungen zu verwirklichen. Um ein Weniges ist es uns 2009 auch gelungen – dann aber waren die Vertreter des politischen Systems alarmiert und haben, kurz vor der ersten landesweiten Volksabstimmung 2009, das einzige vorhandene institutionelle Fenster geschlossen. Ab da konnten wir nur noch auf die Einsicht der politischen Vertretung setzen.

Bis 2013 war ausdrücklich Durnwalder schuld, dass eine gute Regelung der DD nicht möglich war. So hat es, wiederholt, Arnold Schuler zu verstehen gegeben. Und nun, wer ist jetzt schuld? Neue Ansätze sind da: der bis jetzt parteiübergreifende Ansatz des Gesetzgebungsausschusses (GGA) und seine Öffnung zum Gespräch mit der Zivilgesellschaft. Deren Wert ist aber allein abhängig vom Ziel und vom Zweck, die damit verfolgt werden. Über Ziel und Zweck kann es jetzt noch kein abschließendes Urteil geben, aber einiges deutet darauf hin, dass sich die Haltung nicht geändert hat. Die klare Ablehnung der beratenden Volksabstimmung über den Vorschlag des GGA und unseren Entwurf spricht eine klare Sprache. Man will sich nicht mehr mit unseren Vorstellungen von einer guten Regelung messen und mit ihnen konfrontiert sein. Das Ziel ist nicht eine wirklich gute Regelung, sondern weiterhin der Kompromiss innerhalb der SVP.

Der Bevölkerung ist vor den Wahlen eine Erneuerung versprochen worden. Viele haben darauf gehofft, andere haben das gleich schon als Wahlwerbung abgetan. Eine Erneuerung ist schon da, aber es ist nur eine Erneuerung der Methode, mit der das Zustandekommen politischer Entscheidungen präsentiert wird, nicht aber eine Erneuerung in der politischen Ausrichtung. Dafür gibt es wirklich viele Beispiele.

Ich habe keine Erwartungen mehr an diese politische Vertretung und an diese Scheindemokratie (siehe „Und das soll Demokratie sein?“). Wir leben in einer Elitenherrschaft, in einer Oligarchie. Die Hälfte der Bevölkerung hat keine Lust mehr in diesem politischen Spiel mitzuspielen und jene, die bei Wahlen noch mitmachen, tun das mehrheitlich nicht aus Überzeugung, sondern nur um schlimmeres zu vermeiden. Wir stehen am Ende eines politischen Systems, einer unfertigen Demokratie, die wie ein unfertiges Haus schutzlos den widrigsten Einflüssen ausgesetzt ist.

1994 war ich überzeugt, dass „eine umwelt- und sozialverträgliche Entwicklung“, dass die „ökologische Wende“ nur möglich sein wird, wenn es uns Bürgerinnen und Bürgern gelingt, die Rahmenbedingungen für die zukünftige Entwicklung bestimmen zu können, also zu Gesetzgebern zu werden und die uns vertretenden Gesetzgeber direkt kontrollieren zu können. 20 Jahre später bin ich immer noch davon überzeugt, dass dieser Weg der richtige war, auch wenn wir das Ziel in so langer Zeit nicht erreicht haben. Es war der richtige, weil er dahin geführt hat zu sehen, was im Grunde notwendig ist: eine demokratische Neugründung unseres Landes.

Die geltende politische Ordnung wurde von einer kleinen Elite vorgegeben und immer mehr ihren Interessen angepasst. Es ist ihre Ordnung, eine Ordnung im Sinne der Wenigen, nicht eine von uns Vielen. Wir Bürgerinnen und Bürger waren und sind nicht beteiligt am Entwurf dieser Ordnung und an ihrer Ausgestaltung. Die Erneuerung, die stattfinden muss, erwarten wir vergebens von denen, die von ihr profitieren, sie muss von uns Bürgerinnen und Bürgern kommen. Die einzige wirkliche Erneuerung ist die Neugründung unserer demokratischen Gesellschaftordnung durch uns selbst.

Wären wir ein Schweizer Kanton, dann könnten wir jetzt die Totalrevision der Verfassung verlangen, aber das hätten wir dort ja nicht nötig. Hier wird man uns mit dem Südtirol-Konvent neue Grundlagen und Perspektiven für die Zukunft vorgaukeln, sie bleiben im Rahmen der herrschenden politischen Ordnung, die keine Souveränität für die Bürger kennt. Das System blockt, es stockt, es fällt langsam in sich zusammen. Wir müssen es umfahren, wir dürfen nicht mit falschen Erwartungen in ihm hängen bleiben. Wenn wir wollen ist das möglich: mit der Einrichtung einer verfassungsgebenden Versammlung.

Sie soll von uns Bürgerinnen und Bürgern nominiert werden und mit uns zusammen an einem Verfassungsentwurf für Südtirol arbeiten. Das Ergebnis dieser Arbeit, für die es über Island bis Equador weltweit Beispiele gibt, wird zeigen, ob die Ordnung, die wir für uns als die beste ansehen, im italienischen Verfassungs- und Rechtsrahmen Platz haben kann. Wenn nicht, dann wird sie die Grundlage sein für eine neu zu definierende Eigenständigkeit unseres Landes.

Die politische Ordnung, in der wir Bürgerinnen und Bürger wirklich souverän sind, können wir nur in kleinen, übersichtlichen Territorien schaffen, in großen Einheiten wie Staaten und Staatenbünde werden es immer nur Eliten sein, die sich Ordnungen in ihrem Interesse zurechtlegen. Goethe hat sich von dieser Erkenntis in seinem Weimarer Projekt leiten lassen. Immer mehr werden Menschen in Europa an solchen Neugründungen zu arbeiten beginnen. Nur so kann auch ein neues Europa entstehen. Wir werden uns gegenseitig anregen und unterstützen und Beispiel sein. Wir haben gehört: das Trentino macht sich gemeinsam mit uns auf den Weg. Ladinien wird hellhörig werden, das Cador, Carnia, Valtelina, in Aosta regt es sich auch schon. Und neben uns haben wir das lebendige Beispiel dafür, wie es aussehen könnte: ein föderativer Bund souveräner Kantone, ein jeder mit Verfassungshoheit, in einem jeden bestimmen die Menschen über ihr Grundgesetz, passen es an neu gewachsene Überzeu gungen, Einsichten und Notwendigkeiten an, entscheiden selber oder kontrollieren alle Regeln, die in ihrem Namen beschlossen werden, stehen die Institutionen nicht Kopf, wie bei uns, sondern auf dem Boden der Gemeinden, legen sich die Bürger selbst ihre Steuern fest. Alpine Konföderation, Confederazione Alpina, Confederaziun Alpinia könnte der neue Bund heißen. Das wäre eine Arbeit an überzeugenden-, befriedigenden und dauerhaften Grundlagen.

Wir müssen aber auch an der Umsetzung arbeiten. Die Illusionen sind dahin, wir müssen uns auf die nächsten Wahlen vorbereiten. Nicht eine Partei werden, das ist klar, aber den Menschen im Land die Möglichkeit geben, Menschen zu wählen, die sie selber wählen wollen können, das ist möglich. Menschen wählen können, die bereit sind, unter selbstbestimmten Bedingungen (Mandatsbeschränkung, Entlohnung, Arbeitsweise), die notwendige Demokratiereform innerhalb einer Legislatur zu verwirklichen.

„Menschen können zu verändernden Handlungen nur motiviert werden, wenn sie Hoffnung haben, und sie können nur Hoffnung haben, wenn es eine Vision gibt und sie können nur eine Vision haben, wenn man ihnen Alternativen zeigt.“ (Erich Fromm)

 

Eine Landesordnung, eine Landessatzung, eine Landesverfassung ist eine solche Alternative!

Stephan Lausch, März 2015

 

Begrüßung von Erwin Demichiel, Vorsitzender der Initiative für mehr Demokratie

Beitrag von Daniela Filbier für Associazione Più democrazia nel Trentino

Beitrag von Josef Gruber, Promotorenkomitee für eine pestizidfreie Gemeinde Mals

Beitrag von Thomas Benediker, politis

Beitrag von Oswald Hell, Südtiroler Frühling

"... und das soll Demokratie sein?" Stephan Lausch

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