"Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
seit vielen Jahren schon kaufe ich auf diesem Markt, auf dem Marik, hier vor dem Bundeshaus ein. Hier besorge ich mir Obst und Gemüse, aber auch Setzlinge für meinen Garten und das werde ich auch als Bundespräsidentin weiterhin tun. Warum ist das Einkaufen auf dem Markt so etwas Besonderes? Wir könnten ja von zuhause aus per Internet alles besorgen. Für mich ist die Antwort klar und so wie mir geht es vielen anderen auch. Ich kenne die Marktstände, ich kenne die Leute hinter den Ständen, ich weiß, wer den besten Käse hat und wer die schönsten Blumen verkauft, ich treffe Freunde und Bekannte und manchmal gibt es einen Schwatz. Der Markt bedeutet für mich Vertrautheit und Nähe.
Vertrautheit und die Nähe, dafür steht auch unsere Direkte Demokratie. Nirgendwo sonst auf der Welt haben die Bürger so viel Macht und so viel Verantwortung wie in unserem Land. Genau das gefällt mir an unserer Demokratie, sie ist mutig, sie traut uns allen viel zu. Es gibt aber auch Leute, die sagen, unsere Direkte Demokratie sei nicht mehr zeitgemäß, in unserer vernetzten Welt sei es für die Bevölkerung gar nicht mehr möglich, hochkomplexe Entscheidungen zu fällen. Ich teile diese Aufassung nicht und zwar ganz und gar nicht, ich bin vielmehr überzeugt, unser politisches System passt sogar ausgezeichnet in die heutige Zeit. Denn die Tatsache, dass neben dem Bundesrat und dem Parlament bei uns auch die Bürgerinnen und Bürger Verantwortung tragen, Einfluß nehmen und sich beteiligen, das schafft Nähe und das schafft Identität. Und genau darauf sind wir Menschen angewiesen. Das war schon immer so, das ist heute mit der Globalisierung noch stärker so.
In dieser Hinsicht gleicht unser Land im 21. Jahrhundert einem Markt, wie diesem hier auf dem Bundesplatz (sie steht mitten auf dem Obst- und Gemüsemarkt am Bundesplatz in Bern/ Anm. d. Ü.). Auch hier hat die Globalisierung längst Einzug gehalten. Der Thunfisch, der angeboten wird, kommt ja nicht vom Thuner See und die Mango, die man hier kaufen kann, wurden nicht am Ufer der Aar geerntet. Exotische Früchte und andere Produkte aus der ganzen Welt gehören heute zu unseren Lebensmittelmärkten, wie die einheimischen Äpfel und Salate. Und trotzdem oder gerade deshalb fühlen wir uns hier daheim. Ein Lebensmittelmarkt ist ein Ort, der offen ist für alle, hier tauschen wir uns aus, hier ist die Welt zuhause, und hier erleben wir gleichzeitig Nähe und Verwurzelung.
Was macht eigentlich unser Land aus, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, was ist unsere Identität? Ist es unsere Tradition, sind es unsere Wurzeln oder unsere Offenheit, unsere Verbundenheit und unsere Solidarität. Es ist nicht das eine, es ist nicht das andere, zur Schweiz gehört beides: unsere lokalen Wurzeln ebenso wie unsere Verbundenheit mit der Welt. Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger: Es erwartet uns gewiss kein leichtes Jahr, aber ich bin überzeugt, es kann ein gutes Jahr werden. Ich wünsche Ihnen und Ihren Nächsten fürs neue Jahr, viel Kraft, viel Gesundheit und von Herzen alles Gute."
Und das sagt jemand, der als Politikerin sich ständig mit den Möglichkeiten einer sehr gut handhabbaren und wirksamen Direkten Demokratie auseinandersetzen muss.
Jetzt aber mit Volldampf voraus, damit auch bei uns bald die Bedingungen für eine Präsidentschaft gelten, die sich so äußern kann.
p.s.: Die Präsidentschaft im Ministerat der Schweiz ist in erster Linie ein Vorsitz, der jährlich zwischen den sieben Ministern wechselt.