Wir veröffentlichen hier die Antworten auf die Fragen zur Direkten Demokratie, mit denen sich die Plattform "Südtiroler Frühling" an Stephan Lausch von der Initiative für mehr Demokratie gewandt hat. 

FRAGE #09

SF: Wie begegnet man der Tatsache dass Initiatoren für durch direktdemokratische Abstimmungen zustande gekommene Fehlentscheidungen, die dann aufwendig wieder korrigiert werden müssen nicht zur Rechenschaft gezogen werden können (sie können ja nicht abgewählt oder auf anderen Weg zur Verantwortung gezogen werden, z.B. durch den Rechnungshof). Umkehrschluss: besteht auch Gefahr, dass „heiße Themen“, die eine politische Verantwortung mit sich bringen, von der Politik ans Volk abgeschoben werden?

SL: Auch hier grundsätzlich: wer kann wirklich beurteilen, was eine Fehlentscheidung gewesen ist?

Wenn sich eine Entscheidung irgendwann tatsächlich als nachteilig erweisen sollte, dann kann sie nachträglich auch wieder direktdemokratisch korrigiert werden. Grundsätzlich ist es also gut, sogenannte fehlerfreundliche Entscheidungen zu treffen, also solche, die nicht irreversible Schäden verursachen. Ganz sicher ist, dass solche problematischen Entscheidungen viel weniger von Mehrheiten in der Bevölkerung, als von deren politischen Vertretern gefällt werden.
Aber davon einmal abgesehen:

Warum sollten die Initiatoren einer Volksabstimmung für „Fehlentscheidungen“ zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Die Initiatoren, die sich mit einer bestimmen Frage, mit einem Vorschlag an alle Stimmberechtigten wenden wollen, erhalten die Berechtigung dazu von vielen Menschen, die ihr Anliegen mit ihrer Unterschrift unterstützen.

Es ist also der Wille von vielen Tausenden von Bürgerinnen und Bürgern, der zur Volksabstimmung führt. Und dann entscheidet ja effektiv die Mehrheit der Abstimmenden. Also ist sie es, die die Verantwortung für die Entscheidung trägt. Ja, und eigentlich auch nicht nur sie, sondern auch jene, die entschieden haben, sich nicht an der Abstimmung beteilgen zu wollen, die ihre Entscheidung an die abstimmenden Mitbürgerinnen und Mitbürger delegiert haben. Entschieden haben also doch letztlich die, die die Entscheidung betrifft und auch deren Folgen zu tragen haben.

Zur Rechenschaft werden sie durch die unmittelbaren Folgen ihrer Entscheidung gezogen und das macht auch die Qualität ihrer Entscheidung aus: die Bürgerinnen und Bürger müssen sich vorstellen, was ihre Entscheidung für sie bedeuten wird. Entsprechend verantwortungsvoll werden sie entscheiden, meine ich, jedenfalls verantwortungsvoller als politische Vertreter, die aufgrund ihrer privilegierten Lebenssituation die unmittelbaren Folgen ihrer Entscheidungen meistens am wenigsten selbst zu spüren bekommen und für die die indirekten Folgen (bei den Wahlen) meistens ganz gut als Teil einer Regierungsmehrheit abgefedert werden.

 

FRAGE #10

SF: Wie kann man die Instrumentalisierung der direkten Demokratie durch Populisten verhindern?

SL: Ich frage mich, weshalb man mit Vorliebe auf die Gefahr des Populismus im Zusammenhang mit Direkter Demokratie hinweist, wo sie doch viel offensichtlicher und folgenreicher in der parlamentarischen Demokratie herrscht?

Die Anfälligkeit für die Machenschaften von Populisten steht in direktem Zusammenhang mit der Hilfslosigkeit und dem Ohnmachtsgefühl der Menschen, der eine blinde Sehnsucht nach Personen mit einfachen Lösungsangeboten entspricht. Ohnmacht ist aber der Zustand der Menschen in der parlamentarsichen Demokratie - dort sind sie ohne Macht.

Mit Direkter Demokratie können sich die Menschen unverhältnismäßig sicherer und freier fühlen, weil sie die Möglichkeit haben, als problematisch empfundene Entscheidungen ihrer Vertreter zurückzuweisen und selbst Lösungsvorschläge in Kraft zu setzen. Direkte Demokratie ist somit selbst das beste Mittel gegen Populismus. Aber vielleicht liegt das Mißverständnis im Begriff Populismus selbst. Wenn mit Populismus das Zur-Geltung-Bringen dessen, was in der Bevölkerung stark als Problem empfunden wird, ja, dann eignet sich Direkte Demokratie sehr dazu, aber ich meine, dass das gerade ihr großer Vorzug ist. Meint man damit hingegen die Verführungskraft von Politikern, die imstande sind, die Menschen zu täuschen und ihnen etwas vorzugaukeln, dann sind dafür die geeigneten Bedingungen eine nicht funktionierende Demokratie, und das ist eine, die den ganzen kognitiven Reichtum einer Gesellschaft ungenutzt lässt und mit der die Selbstheilungskräfte deaktiviert sind.

Überdies ist es für Populisten viel schwieriger in Sachfragen zu täuschen, die Gegenstand von Volksabstimmungen sind, als allein mit ihrer schauspielerischen Fähigkeit Menschen für sich zu gewinnen. Aber will man, so lautet die Frage, Direkte Demokratie selbst so gut als möglich populistenfrei zu halten, dann ist alles vorzusehen, was die Menschen darin unterstützt sich ausreichend und möglichst differenziert über den Gegenstand der Abstimmung zu verständigen, also ausreichend lange Zeiten für die Unterschriftensammlung, bei der Behandlung des Vorschlags in der parlamentarischen Versammlung und eine vielseitige Information.

 

FRAGE #01 http://www.dirdemdi.org/index.php/de/577-14-fragen-zur-dd-an-stephan-lausch-01

FRAGE #02 http://www.dirdemdi.org/index.php/de/605-14-fragen-zur-dd-an-stephan-lausch-2

FRAGE #03, #04 http://www.dirdemdi.org/index.php/de/606-14-fragen-zur-dd-an-stephan-lausch-3

FRAGE #05, #06 http://www.dirdemdi.org/index.php/de/607-14-fragen-zur-dd-an-stephan-lausch-4

FRAGE #07, #08 http://www.dirdemdi.org/index.php/de/608-14-fragen-zur-dd-an-stephan-lausch-5

FRAGE #09, #10 http://www.dirdemdi.org/index.php/de/609-14-fragen-zur-dd-an-stephan-lausch-6

FRAGE #11, #12 http://www.dirdemdi.org/index.php/de/610-14-fragen-zur-dd-an-stephan-lausch-7

FRAGE #13, #14 http://www.dirdemdi.org/index.php/de/611-14-fragen-zur-dd-an-stephan-lausch-8

 

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